Guckenheimer, Ernst

(Letzte Bearbeitung / last updated on 15/10/2023)

16.04.1905 in Frankfurt, 23.11.1943 in Auschwitz

Deported from Drancy/Paris to Auschwitz on 20.11.1943.

Erinnerungstafel für Ernst Guckenheimer aus 1996, Gedenkstätte Börneplatz / Memorial plaque Ernst Guckenheimer from 1996, Memorial Börneplatz1Für die Opfern der Shoah aus Frankfurt wurden an der Außenmauer des Alten jüdischen Friedhofs über 12.000 Namenstafeln angebracht. Sie geben jedem Toten einen eigenen Ort der Erinnerung. In Deutschland ist es die eindrucksvollste Gedenkstätte an den Holocaust. Als Zeichen der Erinnerung legen Besucher Steinchen auf den Namenstafeln der ermordeten Juden. / For the victims of the Shoah from Frankfurt, more than 12,000 name plaques were placed on the outer wall of the Old Jewish Cemetery. They give each victim its own place of remembrance. In Germany, it is the most impressive memorial to the Holocaust. As a sign of remembrance, visitors place small stones on the name plaques of the murdered Jews. (Foto Hermann Tertilt)

English    Dokumente

Ernst Guckenheimer war der Sohn von Markus (Max) Guckenheimer (*1869), einem Vetter von Adolf Guckenheimer aus Frankfurt. Dort wurde er am 16. April 1905 geboren. Als Schüler besuchte er bis 1914 das Philanthropin, danach die Wöhlerschule, die er 1920 verließ, um eine kaufmännische Lehre zu absolvieren. 1929 heirate er Herta Müller und lebte mit ihr zusammen bei den Schwiegereltern im Kettenhofweg 19 im Frankfurter Westened.2Diese Angaben basieren auf Recherchen von Schülern der Wöhlerschule in Frankfurt: „Lebensspuren. Jüdische Wöhlerschüler, Opfer des Terrors 1938-1945“, Frankfurt am Main 2001, S. 61 – siehe auch Eintrag zu „Ernst Guckenheimer“ im Shoah Memorial Frankfurt.

Flucht nach Frankreich

Ernst Guckenheimer und seine Frau Herta waren am 27. April 1933 (also bereits vier Wochen nach dem Beginn des nationalsozialistischen Boykotts jüdischer Geschäfte in Deutschland) von Frankfurt nach Paris geflohen, wo ihr Sohn Jean Pierre 1935 zur Welt kam.3Siehe Mémorial de la SHOAH. 1936 trat Ernst Guckenheimer in Paris einem Flüchtlingshilfekomitee bei, dem „Comité d’assistance aux réfugiés (CAR)“. Im August 1939 meldete er sich freiwillig zum Dienst bei der französischen Armée. Ein Jahr später am 21. August 1940 wurde er aus der Armee entlassen. Zu diesem Zeitpunkt war Frankreich bereits von der deutschen Wehrmacht überfallen worden und der Waffenstillstand von Compiègne am 22. Juli 1940 hatte das Land aufgeteilt in eine von der Wehrmacht besetzte Zone im Nordwesten mit Paris als Hauptstadt und eine unbesetzte Zone im Südosten mit Vichy als Sitz der kollaborierenden französischen Regierung. Die Familie lebte fortan in der unbesetzten Zone in Marseille in der Rue de la Paix 49.

Generalsekretär der „Union générale des israélites de France (UGIF)“ in Marseille

Ernst Guckenheimer wurde 1942 Generalsekretär der „Union générale des israélites de France (UGIF)“ in Marseille, einer auf Anordnung der deutschen Besatzer vom Vichy-Regime gegründeten Organisation, deren Aufgabe darin bestand, die Juden gegenüber den Behörden zu vertreten, insbesondere in Fragen der Unterstützung, der Wohlfahrt und der sozialen Wiedereingliederung.4Siehe Wikipedia. Dort war er in der Südzone zuständig für die 5. Direktion der UGIF. Er verfügte über einen befristeten Reiseausweis („Carte temporaire de circulation“), der ihm Bewegungsfreiheit in der nicht besetzte Zone ermöglichte.5«Les Juifs étrangers ont l’interdiction de circuler. Une exception est faite pour Monsieur Guckenheimer, ancien membre du Comité d’Assistance aux Réfugiés, car il est indispensable à l’activité de l’UGIF» / „Ausländischen Juden ist es verboten, sich zu bewegen. Eine Ausnahme wird für Herrn Guckenheimer, ein ehemaliges Mitglied des Comité d’Assistance aux Réfugiés, gemacht, da er für die Tätigkeit der UGIF unerlässlich ist.“ Siehe Mémorial de la SHOAH. Die Rolle der UGIF ist vor allem wegen der kollaborativen Aktivitäten für das Vichy-Regime umstritten.6Siehe Wikipedia.

Flucht nach Nizza

Am 11. November 1942 überschritten deutsche Truppen die Demarkationslinie der bis dahin unbesetzte Zone Frankreichs und besetzten sie als Reaktion auf die Landung der Alliierten in Nordafrika. Marseille war damit kein sicherer Ort mehr für Ernst Guckenheimer und seine Familie. Sie flüchteten sich ins italienisch verwaltete Nizza. Seit 1940 lag die Stadt in einer von Italien besetzten Zone im Südosten von Frankreich, in der 1943 etwa 30.000 Juden lebten. Angelo Donati, ein einflussreicher jüdischer Bankier und Diplomat aus San Marino, hatte mit Unterstützung von italienischen, vatikanischen, britischen und amerikanischen Behörden einen spektakulären Plan vorbereit, der allen Juden in der italienisch verwalteten Zone die Flucht nach Palästina bzw. Nordafrika ermöglichen sollte.

Deportation nach Drancy

Donatis Rettungspläne scheiterten jedoch, nachdem Italien am 3. September 1943 einen Waffenstillstand mit den USA und England unterzeichnet hatte. Denn die deutsche Wehrmacht marschierte am 8. September 1943 in die italienische Zone in Südfrankreich ein und besetzte die Gebiete um Nizza. Die meisten Juden in der Region konnten nicht mehr flüchten. Sie wurden in zahlreichen Razzien unter dem Kommando des SS-Hauptsturmführers Alois Brunner verhaftet und deportiert.7Siehe Wikipedia.

Deportation nach Auschwitz

Laut der Recherchen von Beate und Serge Klarsfeld über die Deportation jüdischer Kinder aus Frankreich waren auch Ernst und Herta Guckenheimer zusammen mit ihrem Sohn Jean Pierre in Nizza festgenommen worden. Ihre letzte Adresse dort war Boulevard Gambetta 47.8[See Mémorial de la SHOAH.] Aus Nizza wurden sie am 14. September 1943 in das Internierungslager Drancy bei Paris verschleppt und von dort am 20. November 1943 mit Transport Nr. 62 in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Der Zug erreichte Auschwitz am 23. November 1943. Von den 1.200 Personen im Zug wurden bei der Selektion in Auschwitz 914 Menschen als „nichtarbeitstauglich“ eingestuft und direkt von der Rampe in die Gaskammern geschickt. Die übrigen 144 Männer und 165 Frauen kamen ins Lager. Von ihnen haben nur 27 Männer und 2 Frauen überlebt.9Siehe Wikipedia. Die Familie Guckenheimer wurden am Tag ihrer Ankunft vermutlich sofort in der Gaskammer ermordet.

In ihrer Ausstellung über die Deportation jüdischer Kinder aus Frankreich veröffentlichten Beate und Serge Klarsfeld das Foto des kleinen Jean Pierre, wo er als vierjährer Junge ganz vergnügt seinen Vater Ernst Guckenheimer mit Rasierschaum einpinselt. Drei Jahre später endete das Leben des Jungen und seines Vaters im Vernichtungslager Auschwitz.10Die Ausstellung wurde in 2008 auch auf deutschen Bahnhöfen gezeigt (siehe NZZ und der Der Spiegel).

Deutsch     Documentss

Ernst Guckenheimer was the son of Markus (Max) Guckenheimer (*1869), a cousin of Adolf Guckenheimer from Frankfurt. He was born there on 16 April 1905. As a student he attended the Philanthropin until 1914, then the Wöhlerschule, which he left in 1920 to complete a commercial apprenticeship. In 1929 he married Herta Müller and lived with her at her parents-in-law’s home at Kettenhofweg 19 in Frankfurt’s Westened.11(This information is based on research by students of the Wöhler School in Frankfurt: „Lebensspuren. Jüdische Wöhlerschüler, Opfer des Terrors 1938-1945,“ Frankfurt am Main 2001, p. 61 – see also entry on „Ernst Guckenheimer“ at Shoah Memorial Frankfurt).

Escape to France

Ernst Guckenheimer and his wife Herta had fled from Frankfurt to Paris on 27 April 1933 (i.e. already four weeks after the beginning of the Nazi boycott of Jewish businesses in Germany), where their son Jean Pierre was born in 1935. In 1936, Ernst Guckenheimer joined a refugee assistance committee in Paris, the „Comité d’assistance aux réfugiés (CAR).“ In August 1939, he volunteered for service in the French army. A year later on 21 August 1940, he was discharged from the army.12See Mémorial de la SHOAH. By that time, France had already been invaded by the German Wehrmacht, and the Compiègne ceasefire of 22 July 1940 had divided the country into a zone occupied by the Wehrmacht in the northwest, with Paris as its capital, and an unoccupied zone in the southeast, with Vichy as the seat of the collaborating French government. The family lived henceforth in the unoccupied zone at Marseille, 49 rue de la Paix.

Secretary General of the „Union générale des israélites de France (UGIF)“ in Marseille

Ernst Guckenheimer became Secretary General of the „Union générale des israélites de France (UGIF)“ in Marseille in 1942, an organization set up by the Vichy regime on the instruction of the German occupiers, whose task was to represent the Jews vis-à-vis the authorities, especially in matters of assistance, welfare and social reintegration.13Siehe Wikipedia. There he was in charge of the 5th directorate of the UGIF in the southern zone. He had a temporary travel pass („Carte temporaire de circulation“) that allowed him freedom of movement in the unoccupied zone.14«Les Juifs étrangers ont l’interdiction de circuler. Une exception est faite pour Monsieur Guckenheimer, ancien membre du Comité d’Assistance aux Réfugiés, car il est indispensable à l’activité de l’UGIF» / „Foreign Jews are forbidden to move. An exception is made for Mr. Guckenheimer, a former member of the Comité d’Assistance aux Réfugiés, because he is indispensable to the activity of the UGIF.“ See Mémorial de la SHOAH. The role of the UGIF is controversial mainly because of its collaborative activities for the Vichy regime.15See Wikipedia.

Escape to Nizza

On 11 November 1942, German troops crossed the demarcation line of the previously unoccupied zone of France and occupied it in response to the Allied landings in North Africa. Consequently, Marseille was no longer a safe place for Ernst Guckenheimer and his family. They took refuge in Italian-administered Nice. Since 1940, the city had been located in an Italian-occupied zone in southeastern France, where about 30,000 Jews lived in 1943. Angelo Donati, an influential Jewish banker and diplomat from San Marino, with the support of Italian, Vatican, British and American authorities, had prepared a spectacular plan to enable all Jews in the Italian-administered zone to escape to Palestine or North Africa.

Deportation to Drancy

But Donati’s rescue plans failed after Italy signed an ceasefire with the U.S. and England on 3 September 1943. This was because the German Wehrmacht invaded the Italian zone in southern France on 8 September 1943 and occupied the areas around Nice. Most Jews in the region were unable to escape. They were arrested and deported in numerous raids under the command of SS-Hauptsturmführer Alois Brunner.16Siehe Wikipedia.

Deportation to Auschwitz

According to the research of Beate and Serge Klarsfeld on the deportation of Jewish children from France, Ernst and Herta Guckenheimer were also arrested in Nice together with their seven-year-old son Jean Pierre. Their last address there was Boulevard Gambetta 47. They were deported out of Nice to the Drancy internment camp near Paris on 14 September 1943 and from there to the Auschwitz concentration and extermination camp at 20 November 1943 on Transport No. 62. The train reached Auschwitz on 23 November 1943. 914 of the 1,200 people on the train were classified as „unfit for work“ during selection at Auschwitz and sent directly from the ramp to the gas chambers. The remaining 144 men and 165 women were sent to the camp. Of them, only 27 men and 2 women survived.17See Wikipedia. The Guckenheimer family were probably murdered immediately in the gas chamber on the day of their arrival.

In their exhibition about the deportation of Jewish children from France, Beate and Serge Klarsfeld published the photo of little Jean Pierre, where he, as a four-year-old boy, quite happily brushes his father Ernst Guckenheimer with shaving cream. Three years later, the life of the boy and his father ended in the extermination camp Auschwitz.18The exhibition was also shown in German train stations in 2008; see NZZ and Der Spiegel.


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Anmerkungen / Notes
  • 1
    Für die Opfern der Shoah aus Frankfurt wurden an der Außenmauer des Alten jüdischen Friedhofs über 12.000 Namenstafeln angebracht. Sie geben jedem Toten einen eigenen Ort der Erinnerung. In Deutschland ist es die eindrucksvollste Gedenkstätte an den Holocaust. Als Zeichen der Erinnerung legen Besucher Steinchen auf den Namenstafeln der ermordeten Juden. / For the victims of the Shoah from Frankfurt, more than 12,000 name plaques were placed on the outer wall of the Old Jewish Cemetery. They give each victim its own place of remembrance. In Germany, it is the most impressive memorial to the Holocaust. As a sign of remembrance, visitors place small stones on the name plaques of the murdered Jews. (Foto Hermann Tertilt)
  • 2
    Diese Angaben basieren auf Recherchen von Schülern der Wöhlerschule in Frankfurt: „Lebensspuren. Jüdische Wöhlerschüler, Opfer des Terrors 1938-1945“, Frankfurt am Main 2001, S. 61 – siehe auch Eintrag zu „Ernst Guckenheimer“ im Shoah Memorial Frankfurt.
  • 3
  • 4
    Siehe Wikipedia.
  • 5
    «Les Juifs étrangers ont l’interdiction de circuler. Une exception est faite pour Monsieur Guckenheimer, ancien membre du Comité d’Assistance aux Réfugiés, car il est indispensable à l’activité de l’UGIF» / „Ausländischen Juden ist es verboten, sich zu bewegen. Eine Ausnahme wird für Herrn Guckenheimer, ein ehemaliges Mitglied des Comité d’Assistance aux Réfugiés, gemacht, da er für die Tätigkeit der UGIF unerlässlich ist.“ Siehe Mémorial de la SHOAH.
  • 6
    Siehe Wikipedia.
  • 7
    Siehe Wikipedia.
  • 8
  • 9
    Siehe Wikipedia.
  • 10
    Die Ausstellung wurde in 2008 auch auf deutschen Bahnhöfen gezeigt (siehe NZZ und der Der Spiegel).
  • 11
    (This information is based on research by students of the Wöhler School in Frankfurt: „Lebensspuren. Jüdische Wöhlerschüler, Opfer des Terrors 1938-1945,“ Frankfurt am Main 2001, p. 61 – see also entry on „Ernst Guckenheimer“ at Shoah Memorial Frankfurt).
  • 12
  • 13
    Siehe Wikipedia.
  • 14
    «Les Juifs étrangers ont l’interdiction de circuler. Une exception est faite pour Monsieur Guckenheimer, ancien membre du Comité d’Assistance aux Réfugiés, car il est indispensable à l’activité de l’UGIF» / „Foreign Jews are forbidden to move. An exception is made for Mr. Guckenheimer, a former member of the Comité d’Assistance aux Réfugiés, because he is indispensable to the activity of the UGIF.“ See Mémorial de la SHOAH
  • 15
  • 16
    Siehe Wikipedia.
  • 17
  • 18
    The exhibition was also shown in German train stations in 2008; see NZZ and Der Spiegel.